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NOSOTRAS – KURZFILMPROGRAMM 2021

WANN: 18.10.2021 – 21:15 Uhr | 24.10.2021 – 21:15 Uhr
WO: Schaubühne Lindenfels

MENARCA
Lillah Halla, 2020, Brasilien, 22ˈ, OmeU

Nanã und Mel leben in einem brasilianischen Fischerdorf, in dem man sich nicht nur vor Piranhas fürchten muss, sondern auch vor toxischer und grenzüberschreitender männlicher Gewalt. Der Titel „Menarca“ bezieht sich auf die Menarche, die erste Menstruation von Mädchen, die als Eintritt der Geschlechtsreife in der Pubertät definiert wird. Als ein mysteriöser Körper in meinem Fischernetz gefunden wird, der das ganze Dorf in Panik versetzt, lernt Nanã von dem Piranha-Mädchen Baubo einen Trick, wie sie die scheinbare Gefahr des Meeres für ihren eigenen Schutz nutzen kann. Indem sie Baubo, ihre Freundin Mel und sich selbst vor der patriarchalen Gewalt ihrer Umgebung schützt, betreibt sie aktiven Widerstand. Die Geschichte hinter dem Kurzfilm ist erschreckend und ihre politische Dimension beeindruckend. Die brasilianische Regisseurin Lillah Halla, die auch das politische Filmkollektiv Vermelha für Frauen und queere Filmemacher*innen in São Paulo initiiert hat, nutzt in “Menarca” die vermeintliche Idylle eines Fischerdorfes für die Sichtbarmachung männlicher Gewalt. Die mit Piranhas assoziierte Gefahr und die menschliche Angst vor einem Biss bekommen hier eine ganz neue Dimension.

OB SCENA
Paloma Orlandini Castro, 2021, Argentinien, 17ˈ, OmeU

Aufgewachsen zwischen Kinderärzt*innen, Psycholog*innen und Sexolog*innen lernt die Protagonistin des Kurzfilms OB SCENA schon im Kindesalter am Küchentisch was Sexualität bedeuten kann. Im Alter von fünf Jahren imitiert sie ein Kunstwerk einer feministischen Künstlerin: Sie sitzt nackt auf Geldscheinen und Münzen. Die ersten Gedanken rund um Kategorisierungen in Pornos macht sie sich mit 15, später findet sie akademische Aufzeichnungen zum Thema Sexualität, die ihr Großvater in den 1980er Jahren als kubanischer Psychologe verfasste. Sie versucht sich selbst und ihre sexuellen Bedürfnisse in die alten akademischen Kategorien einzuordnen und stellt Ähnlichkeiten zu den Kategorisierungen und Machtverhältnissen in Pornos fest. Daraufhin dreht sie eigene Pornos, die aus übereinandergelegten Illustrationen von diversen nackten Körpern bestehen, welche verschiedene Interpretationen von Sex und verschiedene Kombinationen von Sexpartner*innen zeigen. Die Regisseurin Paloma Orlandini Castro beeindruckt in OB SCENA mit künstlerischer Ästhetik und gibt uns Impulse, über unsere eigenen Bedeutungen von Sexualität nachzudenken. In welche Kategorien wollen wir uns einordnen (lassen)?

A LA CABEZA
Andrea Santiago, 2020, Mexiko, 12ˈ

María lebt in einer besonderen Welt: Bei bestimmten Personen werden die Köpfe ab einem Punkt ihres Erwachsenendaseins viel größer. Sie bilden die sogenannte „Comunidad de las Cabezas Grandes“. Marías Aussehen ist noch unverändert und sie wünscht sich, mehr als alles andere auf der Welt, dazu zu gehören. Bei ihrer Arbeit lernt sie Godinez kennen, einen zärtlichen, großköpfigen Mann, der ihr gegenüber freundlich ist und ihr Freund sein will. Ihr genügt diese Freundschaft jedoch nicht und sie muss diese, gemeinsam mit ihrem Selbst aufgeben, um Teil der Gemeinschaft zu werden. Der Animationsfilm spiegelt eine Welt wider, welche das Dilemma des Strebens nach persönlichen Erfolgen auf Kosten von Freundschaften und Werten wie Loyalität und Ehrlichkeit illustriert. Diese farbige, andere und doch vertraute Welt verschaffte der erst 26-Jahre-alten Regisseurin Andrea Santiago u.a. eine Nominierung für den Premio Ariel, den bedeutendsten mexikanischen Filmpreis.

RAFAMEIA
Mariah Teixeira / Nanda Félix, 2020, Brasilien, 24ˈ, OmeU

Statt die von Carmen bestellte Waschmaschine einfach in ihrer Wohnung abzustellen, versucht ein Speditionsangestellter Carmen aufdringlich zu Zusatzleistungen und Trinkgeld zu überreden. Nachdem es Carmen schließlich gelingt den Mann endlich aus ihrer Wohnung zu bitten, beginnt sie anders über ähnliche Situationen in ihrem Alltag und dem Alltag anderer Frauen und Mädchen, denen sie begegnet, nachzudenken. Sie realisiert immer mehr Konflikte und Grenzüberschreitungen, die um sie herum an den verschiedensten Orten passieren. Der Kurzfilm beeindruckt vor allem durch intensive Nahaufnahmen, die die Emotionen der Figuren perfekt einfangen. Vor allem Carmens Gefühlswelt, die von der Regisseurin Maria Teixeira selbst gespielt wird, erscheint greifbar. Viele Zuschauer*innen haben wahrscheinlich schon ähnliches erlebt. Die Regisseurinnen Nanda Félix und Maria Teixeira laden uns mit RAFAMEIA ein, auch unseren Alltag noch einmal genauer zu betrachten. Wie werden wir wahrgenommen? Wie sprechen andere Menschen über uns und wir über sie? Wie ist die Stellung von Frauen und Mädchen in der Gesellschaft? Wo genau herrscht Konfliktpotenzial und wann ist Zeit sich einzumischen?

ATRAPALUZ
Kim Torres, 2021, Mexiko / Costa Rica, 20ˈ, OmeU

Lila mag Anime, Tanzen und Verkleidungen, kämmt mit großer Aufmerksamkeit eine Schaufensterpuppe in ihrem Zimmer und hat sonst eher weniger soziale Kontakte. Sie fragt in Chatrooms, ob die Orte ihrer Imagination auch in Wirklichkeit existieren können. Lila wirkt wie deplatziert in ihrer Welt, die sie mit Hilfe eines Cyborgs, der ihr erscheint, neu betrachtet. Sie experimentiert mit ihrer Identität, dazu liegt sie meist stundenlang gedankenversunken auf dem Bett und schaut an die Decke, an der blaue Lichteffekte erscheinen, die an “Atrapaluzes” erinnern und das Auftauchen des Cyborgs in ihrer Welt symbolisieren. Doch auch Lila selbst wirkt wie ein “Atrapaluz”, indem sie sich selbst und die Welt um sie herum reflektiert. Können künstliche, mit neuen Technologien erschaffene Welten, die Orte ermöglichen von denen Lila träumt? Die Auszeichnung für das Locarno Film Festival 2021 ist für das costaricanisch-mexikanische Filmteam eine große Anerkennung. Thematiken wie Cyborgs und das Erschaffen neuer Welten, die die uns bekannten Grenzen verschwimmen lassen können, werden uns in Zukunft vermutlich immer mehr beschäftigen.